Ahrensburg (ve). Theater findet im Gesicht statt – im Gesicht der Darstellerinnen und Darsteller. So auch bei der Premiere des Stückes „Frühlingserwachen“, inszeniert vom Ensemble Al Dente.
Premiere der Inszenierung ‘Frühlingserwachen’ mit dem Theater Al Dente. Szenenbild mit Milena Hajto, Linda Schwarzer und Sophie Möller (von links).
Das Ensemble weiß, wie es geht, schwierige Themen mit viel Tiefe auf die Bühne zu bringen. Sie wenden sich dem Leid, der Tragik, dem Verlassen sein zu. Dafür haben sie Frank Wedekinds „Frühlingserwachen“ komplett modernisiert und an ihrem eigenen Alltag ausgerichtet.
Frank Wedekinds Frühlingserwachen im Jahr 2016
Szenisch zeigen sie die Leidensgeschichte verschiedener Jugendlicher. Die tragischen Figuren sind dabei im Wortsinne tragend im Ensemble. Wendla zum Beispiel, gespielt von Sophie Möller. Lebenslustig und fröhlich will sie sein, doch tief drinnen fühlt sie Verlassenheit. Zwischen diesen Polen großer Fröhlichkeit und tiefer Einsamkeit springt Sophie Möller innerlich und auf der Bühne auch körperlich hin und her. In nur wenigen Sekunden wechselt diese Wendla von himmelhoch jauchzend zu zu Tode betrübt – und das bis in die kleinste Mimik ihres Gesichtes. Ein Leistung, die auch von großer Konzentration zeugt.
Bis in kleinere Rollen gelingt diese konzentrierte Stringenz – etwa, wenn Darsteller Jan-Eric Christlieb seiner Figur ein gang langsames Coming Out als homosexuell ins Gesicht legen muss. Im Dialog mit Julius Turmann, der seiner Figur eine herausfordernde und starke Präsenz gibt, zeigt sich erst nur ein Schatten im Gesicht von Jan-Eric Christlieb. Langsam aber verzerrt er es immer mehr bis zu verzweifelten Tränen. Bis sich die beiden Jungen weinend in den Armen liegen. Theater findet im Gesicht statt.
Oder Bastian Heckt. Er ist in einer Nebenrolle stark, bleibt vorlaut und aggressiv, findet die richtige Tonlage für seine Widerworte in der Gruppe.
Premiere der Inszenierung ‘Frühlingserwachen’ mit dem Theater Al Dente. Der Tot – Moritz (Lieven Petersen) wählt den Freitot, szenisch dargestellt von Michel Genwo.
Starke Bilder mit starken Darstellern
Eine große Rolle hat Linda Schwarzer als Martha. Sie ist die tragische Figur unter den Mädchen, Martha wird geschlagen, ist unglücklich verliebt. Egal, ob sie von den Prügelarien ihrer Eltern erzählt, ihrer großen Liebe Moritz schüchtern versucht, nahe zu kommen, oder in der fröhlichen Gruppe verzweifelt um Halt sucht – Linda Schwarzers Gesicht zeigt das alles. Jeden Gedanken, den Martha im Kopf hat, legt Linda ihr ins Gesicht. Mit viel Zeit und einem stark gehaltenen Spannungsbogen.
Überhaupt: Moritz. Die tragische Hauptfigur unter den Jungs, suizidal. Die größte Herausforderung des Stückes. Mutig stellt sich Lieven Petersen der Aufgabe, scheut nicht vor schmerzhaften Fratzen und brüllender Lautstärke, vor schweren Worten und dem Gefangensein in der Suche nach Nähe. Diese Distanz und Einsamkeit zeigt Lieven Petersen mit einer gewissen Statik in seiner Körpersprache, die der emotionalen Hilflosigkeit der tragischen Figur sehr gerecht wird.
Das ganze Ensemble wäre zu nennen. Lasse Genwo grübelnd in der Rolle des hochbegabten Melchior, Milena Hajto expressiv in der Rolle der nach Ausschweifung suchenden Ilse, Marika Syrat, Luisa Satow und Chiara Krause als statische, erst zum Schluss mitfühlende Eltern. Und besonders Lisa Goslar als zickige kleine Schwester, die sie so richtig fies auf die Bühne bringt und sich damit als Jüngste im Ensemble behauptet.
Weitere Aufführungen im Juli 2016
Auch das Casting des Ensembles ist gelungen, Charaktere und Rollen sind gut zusammen gebracht. Eine besondere Leistung ist die Inzenierung übrigens von der Regie. Denn Michel Genwo, der auch als Tot auf der Bühne zu sehen ist, Meyly Kerber und Mathis Flemming haben nicht nur erstmals überhaupt Regie geführt, sondern auch noch gleichzeitig alle drei ihr Abitur bestanden. Glückwunsch!
Die Inszenierung vertraut dabei richtiger Weise auf die Qualität ihrer Darsteller, ein Bühnenbild gibt es nicht, ein paar Kartons reichen als Requisite. Das ist auch gut so. Denn so ist Platz für den Wunsch des Ensembles: Das wir uns alle in bisschen mehr in die Gesichter schauen und uns einander zuhören.
Das Publikum in der Premiere hat dies begeistert getan – nur eine Kritik sei erlaubt: Der Zwischenapplaus war wirklich nicht nötig und hat die Konzentration im Saal eher vermindert. Liebes Publikum: Schaut Euch die Inszenierung – sie ist erneut am Sonnabend, 23. Juli 2016, um 19 Uhr und am Sonntag, 24. Juli 2016, im Gemeindesaal der Kirchengemeinde Ahrensburg, Am Alten Markt um 17 Uhr zu sehen – doch einfach eimal an und verzichtet auf den Zwischenapplaus. Lasst Euch ein auf das intensive Spiel auf der Bühne – dann werdet Ihr spüren, was die da oben von Euch wollen!
Premiere der Inszenierung ‘Frühlingserwachen’ mit dem Theater Al Dente.
Premiere der Inszenierung ‘Frühlingserwachen’ mit dem Theater Al Dente. Das Team der Regie: Mathis Fleming, Meyly Kerber und Michel Genwo (von links).
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